Eine meiner Schwächen ist, ernst gemeinte Ratschläge meiner Frau für Witze zu halten, und das war auch der Grund, warum ich nun zweimal die Woche in meinem Passat die Zeit totschlug. Auf dem Beifahrersitz neben mir lagen Handy, Fotoapparat und Fernglas, zwei volle und eine angebrochene Packung Lucky Strike, eine Flasche Mineralwasser und ein zur Hälfte ausgefülltes Rätselheft, mit dem ich nicht recht weiterkam. von Bernhard Jaumann
Für das Wohnzimmer habe ich nur einen Blick übrig. Es ist der schnelle Überschaublick, denn im Wohnzimmer befinden sich keine Geräte, um die ich mir Sorgen machen muss. Im Arbeitszimmer werfe ich einen Blick auf die Mehrfachsteckdose mit Schalter. Den Schalter mache ich immer aus, wenn ich den Computer ausschalte und das Haus verlasse, denn ich vermeide unnötigen Stromverbrauch. von Robert Rescue
Ich hatte auch ein paar Mädchen eingeladen, darunter Silvana, weil sie in meiner Klasse war und weil sie hübsch war und weil man sich über sie erzählte, sie würde mit Jungs mehr machen als die anderen Mädchen. Wir waren nicht die Sorte Jungs, die leicht Mädchen abbekamen. Wir waren die Außenseiter. von Zoe Beck
Kein Lachen, nicht mal ein Lächeln, sie sind konzentriert. Und einer von ihnen hat noch immer seine Hände gefaltet, wie zum Gebet. Das Arrangement, der Blick der vier, der nach schräg oben geht, die gefalteten Hände. Das alles hat etwas von dem Werk eines Bildhauers, wirkt beinahe unecht. Nun doch etwas Neugier, etwas Leben: 'Hat die Polizei deshalb in der Revaler Straße abgesperrt? Ist ihr was passiert?' von Matthias Wittekindt
Amerikaner stehen auf Teppichböden. Einer bunter gemustert als der andere. Ich habe tatsächlich Albträume, in denen ich von den schrillen Ornamenten blind werde. Ich schreie dann und irre orientierungslos mit ausgestreckten Händen umher. Irgendwann falle ich, werde von bunten Polyesterfäden vergewaltigt. Nach dem Teppich zu urteilen, könnten wir in einem Casino sein. von Katja Bohnet
Ich bin in der folgenden Zeit öfter an den Central Park South zurückgekehrt und habe den Kerl beobachtet. Ich dachte, ich hätte ihn vielleicht an einem schlechten Tag erwischt, aber schnell wurde mir klar, dass er die Peitsche regelmäßig einsetzte. Als ich ihn schließlich darauf ansprach, wurde er regelrecht rot vor Zorn. Einen Moment lang dachte ich, er würde mich mit der Peitsche angreifen, und ehrlich gesagt wäre mir das sehr recht gewesen, doch er lenkte seine Wut auf das arme Pferd, schlug es brutaler denn je und sah mich dabei an, als wartete er nur darauf, dass ich eingreifen würde. von Lawrence Block
Der Taxifahrer fuhr über die nächtliche Insel in Richtung Fähranleger, und der Mann saß ruhig auf der Rückbank. Er fühlte sich müde und leer. Er brauchte sich noch nicht zu erinnern. Den Weg über die Insel zum Flughafen war er nur einmal gegangen. Das war dreißig Jahre her und es war Tag gewesen. Das Taxi setzte ihn am Hafen ab. Eine Story von Doris Gercke
Jupp grinste mühsam; dann begann er, in seiner Hütte umherzuwandern und Därme zu spülen; dabei erzählte er in wüsten Abschweifungen vom Privat- und Geschlechtsleben nahezu aller wesentlichen Parteigrößen jener fernen Tage. Schließlich begann er mit dem Fleischwolf zu fummeln, und ich verschanzte mich endgültig hinter Kaffee und Calvados … Eine Story von Gisbert Haefs
Es hatte Zeiten gegeben, da hatte er viel mit seinem Vater geredet. In den besten Zeiten hatten sie kein Wort miteinander geredet. Fallner saß still neben seinem Vater und schaute abwechselnd zum Fenster raus oder ihn an. Wohin er auch schaute, nirgendwo eine Reaktion, nirgendwo ein schönes Bild. Und dafür hatte er sich vier Tage freigenommen, begleitet vom Gemurre der Kollegen. von franz dobler
Ja, wasweißich, bin so rumgegangen, so Straße, weil, ich, also, in Schule … Da wo ich noch Schule, ich hab alles, alles, alles gelernt über Kurpfalz. Immer. Fragen Sie mein Lehrer, der is voll Arschloch, aber wenn wir Kurpfalz gemacht haben, der hat mir Eins gegeben, weil ich immer alles, alles gewusst hab. Weil – ich lieb Kurpfalz voll, ich bin voll stolz, mehr als Moslem und Kosovo, wasweißich, ich weiß doch net, warum ich so Kurpfalz, woher soll ich denn wissen, was ich will, warum … Langer! von Carlo Schäfer
Es waren deine Augen. Ich habe mich verloren in deinen Augen, diesen endlosen, grünen Meeren aus Gefühlen. Wenn du mich ansahst, konnte ich darin Schiffe treiben sehen, deren Frachträume gefüllt waren mit Traurigkeit. Erst Jahre später ist mir aufgegangen, dass der Steuermann dieser Schiffe ‚Berechnung’ hieß. Ganz langsam nur war mir klargeworden, dass es nicht melancholische Traurigkeit war, die ich in deinen Augen sah, sondern Leiden. von Arno Strobl
Ist Trauer mit den Jahren einfacher zu tragen? Ist es leichter, wenn dieser Schmerz schon einmal da war? Wohl kaum. Trauer ist kein Erfahrungswert. Vielleicht weiß man irgendwann, dass sie mit der Zeit vergeht. Aber macht es das leichter? Eine Story von Romy Fölck
Bevor der Arzt Dr. Eberhard Fink am Morgen des 23. Dezember in der Tiefgarage seiner Praxis erstochen wurde, hatte er eine lautstarke Auseinandersetzung mit einer Frau. Eine Zeugin, die auf dem Weg zum Fahrstuhl war, hörte eine weibliche Stimme, aber sie kümmerte sich nicht weiter darum. „Es klang nicht gefährlich“, sagte die siebenundfünfzigjährige Apothekerin. Die Frau habe jemanden als „verlogenes Schwein“ beschimpft und geweint und geschluchzt. Eine Story von Friedrich Ani
Ein Polizeiwagen kreiste über den Parkplatz. Alle vier duckten sich instinktiv. Als die Scheinwerfer des Polizeiautos nicht mehr zu sehen waren, kamen sie wieder hoch. Sie blickten sich an und lachten. Dann wechselten sie die Sitze. Der schwarze Mann, der das Lenkrad fixierte, stellte seinen Sitz nach hinten und startete den Wagen. Er schaute sich um und setzte zurück. Eine Story von Max Annas
Er hatte keine der Frauen aus Hamburgs bester Gesellschaft zurück gewiesen, aber seine Verachtung für sie war gewachsen. Verachtung, die in Hass umschlug. In einen stillen, eiskalten Hass. Er spürte ihn mitunter so stark, dass er glaubte, diese Kälte bringe ihn noch um. Doch er wusste, sich davor zu schützen. Eine Story von Frank Göhre
Der erste Fausthieb trifft sie in der Nierengegend. Er erwischt sie kalt, einmal mehr, ihr Torso zuckt nach hinten und sie spürt, wie ihre Beine unter ihr nachgeben, wie sie den Halt verliert, gerade kann sie sich noch am Rand des Abwaschbeckens festklammern. Ein kraftloses Stöhnen entweicht ihr. Der Schmerz schießt erst mit Verzögerung durch das Nervensystem, das kennt sie mittlerweile nur zu gut, als wäre ihr Körper genauso überrumpelt wie sie. Eine Story von Sunil Mann.
Joachim Hartmann war ein zufriedener Mann. Er hatte es in dem Beruf, von dem er schon als Student geträumt hatte, recht weit gebracht, und er war seit kurzem mit einer Frau verheiratet, die ihm aufrichtig zugetan war. Corinna, seine Frau, hatte eine beträchtliche Summe geerbt, und von dem Geld kauften sie sich einen der eingeschossigen, pastellfarbenen Bungalows, die 1956 für US-Offiziere am zur Nazizeit angelegten Dreipfuhlpark gebaut worden waren. Eine Story von Zoë Beck
Was ich nicht wusste, und nun kommt das Entscheidende: Das Gas ist im Körper des Menschen nicht nachweisbar. Es verflüchtigt sich auch sofort. Der Tod sieht aus wie ein normaler Herzanfall. Seit diesem Tag dachte ich an nichts anderes mehr: Wie bekomme ich Michael in unser Lager? Eine Story von Wolfgang Schorlau
Warum er die Salami mitnahm, die die verschreckte Frau hatte fallen lassen, konnte er beim besten Willen nicht sagen. Vielleicht konnte er sie ja als Schlagstock verwenden, wo er die Pistole doch hatte loswerden müssen. Er verschwand in der Menge, die wie aus dem Nichts zu entstehen schien. Eine Story von Lena Blaudez
Wenig später zog er die Polizeiuniform an. Damit konnte er mehr Eindruck schinden, aber eher bei den kleinen Jungs. Die großen Mädels hielten respektvoll Abstand. Die Bengel wiederum wurden älter, rotteten sich zusammen und hoben irgendwann drohend die Fäuste gegen die Staatsgewalt. Wenn du da Eindruck schinden wolltest mit deiner Uniform und der Dienstpistole, musstest du schießen – und anschließend die Konsequenzen tragen. Eine Story von Robert Brack
Das Einzige, was dieses widerwärtige Schwein mit Dürer gemeinsam hatte, war sein Name. Albrecht Dürer. Abschaum, ein Taugenichts, den es nach Nürnberg verschlagen hatte, eine Namensgleichheit, die nichts als Schande brachte über diese Stadt. Albrecht Dürer, ein brutaler Dreckskerl, der es verstand, Menschen zu benutzen, sie auszubeuten, auszuquetschen, bis nichts mehr von ihnen übrig war. Eine Story von Bernhard Aichner
Jetzt liegt sie ganz ruhig, fast entspannt. Es ist vorbei. Er richtet sich auf, stellt sich vor den großen Spiegel, öffnet die obersten Knöpfe seines Hemdes, dabei fällt sein Blick zurück auf den leblosen Körper. Sie lacht ihn aus. Ihre Augen sind starr, fixieren irgendetwas an der Decke. Trotzdem spürt er ihren Blick, der auf dem Stück nackter Haut in seinem Hemdausschnitt brennt. Er hört ihr Kichern, gedämpft wie hinter vorgehaltener Hand, gleich wird es lauter werden. Eine Story von Thomas Nommensen
Was nicht heißen soll, dass er davon ausgegangen wäre, Spanier könnten grundsätzlich kein Deutsch. Er kannte einige und die sprachen alle sehr gut. „Ja“, sagte er, „ich nehme diesen Zug eigentlich immer. Es dauert zwar drei Stunden länger, aber dafür spart man fast dreißig Mark. Nur, dass wir eben in jedem Dorf halten und …“ Herr Ludwig beendete den Satz nicht, und was er über die dreißig Mark gesagt hatte, war gelogen. Es ging ihm nicht ums Geld. Herr Ludwig war ein geübter Lügner. Eine Story von Matthias Wittekindt
Die Wahrheit über die Welt im Jahr 2608
Die Schwarzdruckereien waren gut in den Bergen versteckt. Klar, die Bullen durchkämmten die Gegend regelmäßig und versuchten unsere Nester auszuheben, was ihnen hin und wieder auch gelang, aber nicht in dem Maße, dass es unsere Geschäfte tatsächlich beeinträchtigt hätte. Das Beste, was uns je widerfahren ist, war das Bücherverbot. Eine Story von Guido Rohm
Vorhin haben Ariane und Lorenz die Hochzeitstorte mit dem Plastikpärchen obendrauf angeschnitten, seither picheln die Damen Sekt und Likörchen, die Männer haben den ersten Klaren schon mittags gekippt, dem Spanferkel hinterher. Ihre Hochzeit. Es fühlt sich immer noch an wie etwas Fremdes, das gar nicht ihr passiert, sondern bloß einem Abbild von ihr. Aber da hilft alles nichts: Sie, Ariane, ist heute die Braut. Eine Story von Susanne Mischke
Wenn er verblutet war, dann innerlich. Was das anging, bestand für Nikos Gerakis kein Zweifel. Immerhin hatte er den Mann auf dem Gewissen. Zeugen gab es genug. Doch kaum einer der Lerioten, die dabeigewesen waren oder jetzt noch herbeikamen, um zu gaffen, nahm es Nikos besonders übel, einem Türken gezeigt zu haben, wo Schluss war. Nicht einmal das Team der Inselpolizei hatte ihn unfreundlich behandelt.
Eine Story von D. B. Blettenberg
Wenn einer eine Reise tut … aber ein Smartphone ist. Und das könnte in der Tat viel erzählen von den alltäglichen Geschichten des Lebens. Lebensenden im Müllcontainer, im Fußraum eines Autos, der Umgang mit jenen Existenzen, die in speziellen Institutionen auf ihr Ende harren. Eine Handvoll Leben in wenigen Worten, verbunden durch ein Telefon und den Mangel an Kommunikation. Eine Story von Karr & Wehner
Margret weiß nicht, was sie falsch oder richtig gemacht hat. War es in Ordnung, für ihren Sohn vor Gericht zu lügen? Vielleicht hat er den Toten ja doch nicht … aber dann das ständige Saufen, wie sein Vater. Wie soll man denn jene Dinge retten, die einem die Welt bedeuten? Und kann man die Welt retten, wenn jeder nur seine eigene Welt zu retten versucht? Eine Story von Mechtild Borrmann
Manchmal gibt es auch einen triftigen Grund, straffällig zu werden: einen Geldtransporter voller neuer Banknoten aus der Bundesdruckerei. Die Aussicht auf ein neues Leben. Ein sechsunddreißigjähriger Polizist leidet an Parkinson und entdeckt plötzlich seine Chance mittels Stammzellen von Embryonen im Ausland seinem Leiden ein Ende zu bereiten. Eine Story von Horst Eckert
Nicht jeder Taschendiebstahl endet damit, dass eine leere Brieftasche im Straßengraben endet. Manchmal wird ein Opfer wie vor dem Hamburger Hauptbahnhof angefahren und es stellt sich unweigerlich die Frage, was nun? Zu den Hamburg-Fotos von Kerstin Petermann. Eine Story von Norbert Horst
Ein Barhocker. Willi Nelson aus der Musikbox. Ein paar Flaschen Alkohol, mehr braucht es 1987 in Arizona nicht. Als in Bars noch geraucht werden durfte und die Gespräche sich um Baseball und Thanksgiving drehten. Doch dann setzt sich eine Frau wie "Jane, Baby Jane" an die Theke und alles ändert sich. Eine Story von Frank Göhre
Blutrache. Da denken wir gleich an Italien, Sizilien. Rapunzel entführt uns nach Nordalbanien und stellt insgeheim die Frage nach dem familiären Horror, den wir wie selbstverständlich vererbt bekommen, ohne dass wir ihm zu entkommen wagen.
Eine Story von Zoë Beck
Bloß nicht in einem fremden Land nach zweiundzwanzig Uhr an einer roten Ampel halten. Da kann es schon mal vorkommen, dass der Ausruf "Call the Police!" nicht gleich zum finalen Rettungsruf wird, weil der Wachmann kein Englisch spricht. Eine Story von Bernhard Jaumann
"Man darf nicht über Gräber gehen. Die Toten mögen das nicht." heißt es in Anne Chaplets Geschichte. Und doch lässt der Countdown von 10 abwärts nichts Gutes erwarten. Etwas Böses erwacht. Am Ende fällt ein Schuss und ein neuer Abzählreim beginnt.
von Anne Chaplet
Heute lief seine letzte Sendung "Der Nachruf – mit Thomas Schreck". Aber das wusste noch niemand. Sie würde der Knüller sein. Und er würde in die Fernsehgeschichte eingehen. In der nächsten Woche käme keiner an dem Ereignis vorbei.
von Ulrich Wickert
Als am 20. Dezember im Marriott Hotel eine schwarz gekleidete Frau an die Rezeption tritt, weiß Birgit Fels nur, dass es sich um keinen Stammgast handelt. Zwei Stunden später klopft an das Zimmer der Frau, die unter falschem Namen abgestiegen ist, ein Mann an und stellt sich als ihr Selbstmörder vor.
Eine Kriminalgeschichte von Friedrich Ani.